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Prof. Dr. Dr. Gunnar Heinsohn, Bremen am 15.01.2015:

 
Seit den 1970er Jahren fallen in der westlichen Welt – zuerst in Deutschland – die Geburtenraten unter zwei Kinder pro Frauenleben, weil die gebäroptimale Zeit zwischen 15 und 35 Jahren für das Erlangen und Verteidigen von Positionen in der Konkurrenz auf Arbeitsmärkte benötigt wird. Zwar verlangsamen die höher geforderten Bildungsschichten die Bereitstellung neuer Talente zuerst, bald aber folgen ihnen die übrigen Bevölkerungsgruppen. Ausnahmen bilden der katholischen Adel (eine Minderheit im Promillebereich) sowie außerhalb der Konkurrenz bleibende und deshalb staatlich alimentierte Frauen aus der Bildungsferne (in Deutschland eine starke Minderheit mit rund 15 Prozent des Nachwuchses bzw. 1,6 Millionen Kindern Ende 2014; http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/hartz-iv-kinder-in-deutschland-vor-weihnachten-von-armut-bedroht-a-1009861.html).
 
Ebenfalls in den 1970er Jahren erobern Konkurrenten aus Ostasien erstmals die Märkte für Spitzentechnologien (Bild-, Ton- und Kommunikationstechnik). Sie haben sie seitdem souverän verteidigt und fürchten allein noch ihresgleichen. Chinesische Smartphone-Unternehmen greifen südkoreanische an, während ihnen längst andere – und hier noch kaum bekannte – Chinesen wie JiaYu (bereits mit einem Musterladen im hessischen Kassel) die Butter vom Brot nehmen.
 
Ebenfalls seit den 1970/80er Jahren werden Rettungsmilliarden an Konkurrenzgescheiterte für ihr baldiges Wiedererreichen der Weltspitze zwar grosszügig herausgereicht, aber niemals wieder hereingebracht. Die Gründe des Scheiterns bleiben zumeist unausgelotet. Nationen mit einem Durchschnitts-IQ von 100 (Englands bzw. Europas Standard) können – bei ansonsten vergleichbaren Eigentumsbedingungen – weder Ostasiens Zwerge (Singapur, Hongkong, Taiwan) noch seine Riesen (Korea, Japan, China) unten halten, solange die ihren Durchschnitts-IQ von 104/105 nicht verlieren. Da sie auch bei den jüngsten Schülerolympiaden (PISA, TIMSS) die Medaillenplätze in den harten Disziplinen unter sich ausmachen, scheint das zu gelingen. China exportiert 2014 in sechs Stunden so viel wie 1978, dem letzten Jahr vor dem Übergang ins Eigentum, in zwölf Monaten (The Economist, 6-12-12-2014, S. 5). Schon 2012 ist es für 124 Länder der führende Handelspartner, während die USA nur noch 76-mal vorne liegen (Associated Press). Es stimmt schon, dass Ostasien bei den Geburtenraten noch unter dem Westen liegt und sich deshalb seinem extrem hohen Durchschnittsalter allmählich annähert, aber es hat mit 25 Millionen Nordkoreanern (dreimal die Schweiz) auch noch Reserven, die mit dem Wirtschaften bisher nicht einmal begonnen haben.
 
Da die westlichen Abwehrmassnahmen gegen diesen Raum teuer, aber nur begrenzt wirksam sind, können die staatlichen Defizite seit den 1970er Jahren nur zulegen. So steigt in Europas deutschem Industrie-Kern die öffentliche Prokopfverschuldung von rund 800 Euro im Jahre 1970 auf 24.000 Euro im Jahre 2014. Zugleich springt das Durchschnittsalter von 34 auf 45 Jahre. Die vervielfachten Lasten müssen mithin von weniger Menschen getragen werden, die nicht nur gebrechlicher, sondern auch einfallsärmer werden.
 
Aus eigener Kraft findet die Mehrheit der weltweit 50 Spitzenstaaten aus dieser demografischen Malaise nicht mehr heraus. Die weitsichtigeren unter ihnen – Kleine wie die Schweiz (global 18. bei 25 – 34-Jährigen mit Hochschulabschluss), Norwegen (7.) und Neuseeland (9.), aber auch größere Kaliber wie Australien (11.) und Kanada (3.) – achten seitdem zunehmend darauf, ihre Bevölkerungen so zu optimieren, dass die Könner durch die Versorgung der Hilflosen nicht überfordert oder gar vergrault werden. Sie betreiben deshalb eine offensive Einwanderungspolitik, die den Abstand zu den Ostasiaten nicht größer werden lässt. Schlagen kann man die bisher nicht, weshalb Kompetenzimmigranten vor allem bei ihnen abgeworben werden.
 
Amerikanische oder kanadische Ostasiaten schneiden als Minderheit im internen Wettbewerb mathematisch denn auch nicht schlechter ab als ihre ostasiatischen Herkunftsländer auf der globalen Rangliste (http://super-economy.blogspot.com/2011/01/how-well-do-above-average-american.html). Den immer noch verbleibenden kognitiven Rückstand können die Agilen der Ersten Welt vor allem durch mehr Freiheit, Eigentumsschutz, Kreativkultur und vor allem durch gescheitere Managementstrukturen ausgleichen.
 
Indem sie bei den Zuwanderern auf generelle Kompetenz statt auf eng umrissene Qualifikationen setzen, sorgen die weitblickenden Nationen dafür, dass die Potenziale für Innovationen und Firmen von übermorgen zu ihnen streben. Das aber gelingt nur, weil sie sich in Festungen der Kompetenz verwandeln, die an ihren Außengrenzen – das tun sie durchaus mit Gewissensbissen – den Verstand vor das Herz setzen. Das stärkt sie nicht nur als Ganzes, sondern sichert auch den bei ihnen heimischen Hilflosen eine menschenwürdige Zukunft. Die Talentelocker überbieten sich natürlich auch bei der Verhinderung von Islamistenmacht. Das ist interessant nicht nur für die demografisch unverzichtbare säkularmuslimische Intelligenz, sondern für alle übrigen gescheiten Monotheisten auch.
 
Die Menschlichkeit der Kompetenzfestungen nach innen kontrastiert selbstverständlich mit der gleichzeitigen Entscheidung, den Zustrom von immer mehr Hilflosen zu begrenzen. Und an denen wird es nicht mangeln. Allein Afrika, das 2014 ein Viertel aller Kinder unter 18 Jahren (540 Millionen) bei nur 15 Prozent der Weltbevölkerung (1,1 Milliarden) beherbergt, wird 2050 Heim von fast zwei Fünfteln aller Kinder (eine Milliarde) und einem Viertel der Menschheit (2,4 Milliarden) sein (http://www.unicef.org/publications/files/UNICEF_Africa_Generation_2030_en_11Aug.pdf). Wenn weiterhin zwei Drittel davon weg wollen, werden die Aufnahmeländer auf eine Weise gefordert sein, die man ohne Übertreibung als welthistorisch einzigartig bezeichnen kann.
 
Die Kombination aus Auswahl an der Grenze und Grosszügigkeit daheim führt in den Kompetenzfestungen zum Paradox, dass sie Bedürftige und Starke gleichermaßen anziehen – erstere, um eine menschenwürdige Versorgung zu erlangen, letztere, um nicht durch übermäßige Versorgungspflichten die Zukunft zu verspielen. Da es niemals zu wenige Hilflose geben kann, Kompetenz für die Herausforderungen der Zukunft aber systematisch knapp ist, signalisieren die Kompetenzfestungen Willkommensbereitschaft nur an junge Könner.
 
Allein im Jahrzehnt 2010 – 2020 (nach McKinsey-Schätzungen von 2012) fehlen der Ersten Welt 18 Millionen Hochqualifizierte. Zugleich verfügt sie über 35 Millionen Menschen geringster Vermittlungschancen. Die begehrten Könner verstehen natürlich, dass man jeden einzelnen von ihnen nicht nur für das wirtschaftliche Durchhalten braucht, sondern – im Durchschnitt – zugleich für die Finanzierung von zwei Nichtvermittelbaren. Da sie die mangelnde Nachhaltigkeit dieses Konzepts leicht durchschauen, suchen sie von vornherein nach Ländern, die relativ wenige der 35 Millionen Beklagenswerten beherbergen. Auch wenn sie sich dafür schämen oder gar Verdammnis auf sich ziehen, gehen sie in der Regel ihren Weg entschlossen, aber unauffällig zu Ende; denn jedes provozierende Wort bleibt auf ewig gespeichert und kann bis ans Lebensende gegen sie verwendet werden. Keiner der Deutschen und Österreicher, denen der Autor in der Schweiz oder Kanada begegnet ist, hat sein Weggehen politisiert oder gar an die grosse Glocke gehängt. Und doch sollten diese leise davongehenden Jungen die zuständigen Regierungen noch stärker alarmieren als gegen Islamismus protestierende Alte. Die sind gewissermaßen selber Schuld, dass sie nicht beizeiten das Weite gesucht haben.
 
Großherzige Nationen offerieren ihre Helferkapazität tendenziell der gesamten Menschheit. Vorne liegen dabei vor allem Deutschland (30% der Altdeutschen und 51% der Migrantenkinder mangelhaft oder schlechter in PISA-Mathe 2012; global 28. bei 25 – 34-Jährigen mit Hochschulabschluss), Frankreich und die USA (über die Hälfte aller Schüler mangelhaft oder schlechter in PISA-Mathe 2012). Schon heute bewirkt in der Bundesrepublik jeder Migrant – bei Einrechnung auch der Infrastruktur- und Bildungskosten etc. – ein jährliches Fiskalminus von durchschnittlich 1800 Euro (http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/ifo-chef-sinn-migration-ist-verlustgeschaeft-fuer-deutschland-13344263.html). Gleichwohl bezaubert diese vergleichsweise weiche Staatengruppe auch Humanisten aus den selektiven Ländern, ohne dass sonderlich viele von ihnen in die offenen Länder tatsächlich überwechseln.
 
Dieselbe Bleibekonstanz gibt es bei den Kompetenten der weichen Länder nicht. Sie spüren ihren Altruismus auch, verstehen aber, dass fürs eigene Durchkommen sowie für ihre global in härtester Konkurrenz stehende Heimat immer ein Überschuss bleiben muss, damit überhaupt Hilfskapazitäten zur Verfügung stehen. Je mehr von ihrem schwer verdienten Geld durch die Politik der übrigen Menschheit zugesprochen wird, desto aufmerksamer registrieren sie, dass es andere Regionen gibt, wo man ihnen nicht nur den roten Teppich ausrollt, sondern – als attraktivstes Merkmal der dortigen Willkommenskultur – auch viel mehr in der Tasche lässt.
 
Die Aussicht auf eine ökonomisch nachhaltige Zukunft in diesen Regionen erzeugt einen Konkurrenzdruck der Kompetenz-Festungen auf alle anderen Mitglieder der globalen Spitzengruppe von rund 50 Staaten. Einige reagieren mit Trotz und wollen „jetzt erst recht“ – wie vor allem Schweden – ihren noblen Kurs fortsetzen. Sie folgen dabei einem Ideal, das die gesamte Menschheit wie eine Stammesgemeinschaft betrachtet, die gemeinsam gedeiht, in der Not aber auch solidarisch abrutscht. Andere aus der weichen Gruppe jedoch werden sich an die Fersen der Kompetenzgruppe heften. Da das nur mit Hoheit über ihre Grenzen funktioniert, müssen sie die Herrschaft fremder Autoritäten nach Art der Brüsseler Nomenklatura abwerfen. Das Vereinigte Königreich etwa begreift über die gemeinsame Kultur die Vorteile der längst reicheren Ex-Kolonien am leichtesten und erklärt deshalb schon im Januar 2014 durch Schatzkanzler Osborne, dass man Hilflose aus EU-Ländern nicht mehr unbegrenzt versorgen könne, ohne die eigene Haut zu riskieren (http://www.conservatives.com/News/Speeches/2014/01/George_Osborne_Speech_on_Open_Europe.aspx).
 
Da die Gesamt-EU nicht als Festung, sondern für das Schleifen der Grenzen angelegt ist, müssen einzelne Mitglieder oder ganze Gruppen nach Auswegen suchen. Nationalistische oder gar ethnozentrische Optionen bleiben dabei chancenlos, weil man für den Ausgleich der fehlenden Geburten Begabungen sucht und deshalb niemanden aufgrund von Hautfarbe, Haarstruktur, Augenstellung oder Religion hereinlassen kann. Wenn die Qualifikation hoch ist, geht das Tor auf. Es ist deshalb kein Zufall, dass in Toronto, der Metropole des hoch grenzselektiven Kanada, 140 Sprachen zu hören sind und volle 30 Prozent der Einwohner in den eigenen vier Wänden weder Englisch noch Französisch sprechen (http://www1.toronto.ca/wps/portal/contentonly?vgnextoid=dbe867b42d853410VgnVCM10000071d60f89RCRD&vgnextchannel=57a12cc817453410VgnVCM10000071d60f89RCRD).
 
Festung bedeutet allerdings nicht allein den Schutz der Könner für das Erhalten der Wettbewerbsfähigkeit, sondern ist ganz wörtlich zu nehmen. Im 21. Jahrhundert mit womöglich immer mehr Nuklearmächten lebt ungemütlich, wer selber wehrlos und erpressbar dasteht. Einem die EU verlassenden England mit seinen Atom-U-Booten – in den nun weiterhin nutzbaren schottischen Häfen – sollte es deshalb leicht fallen, ähnlich denkende Partner zu gewinnen. Dafür kommen im Prinzip alle infrage, denen Brüssel die von London nicht mehr überwiesenen Nettobeiträge aufbrummen muss. Vor allem jedoch mit Skandinavien, wo Norwegen ein Leben in Freiheit längst vorexerziert, ließe sich von Schleswig-Holstein bis nach Grönland ein gewaltiger Sicherheitsraum mit minimalen und deshalb leicht kontrollierbaren Landgrenzen schaffen. Die Anziehung auf die übrigen Europäer, die nun nicht mehr gleich nach Übersee emigrieren müssten, wäre so erheblich, dass die neue Festung der Nordunion dauerhaft mit jungen Menschen versorgt werden könnte. Da die Geburtenraten auch in der neuen Heimat unter 2,1 bleiben dürften, liefert eine solche Einwanderung selbstredend nur eine Streckung, aber keine Lösung des Problems. Garantiert ist deshalb noch lange nicht, ob man die Nase vorne behält bzw. „the last man standing“ wird. Denn auch für Ostasien geht es eben darum. Allein China will mit 40 Millionen frischen Hochschulabsolventen bis 2019 (2 Mill. in D) „seine Industriestruktur so tiefgreifend umwälzen, […] dass die Konsequenzen für die Weltwirtschaft die globale Finanzkrise seit 2008 harmlos aussehen lassen“ (so Chen Yuyu von Peking University; China Daily, 08-01-2015, 4). Wenn 50 Millionen Südkoreaner über das Erklimmen der Weltspitze beim Bevölkerungsanteil mit Hochschulabschluss (25 – 34-Jährige) auch die Weltspitze bei internationalen Patenten pro Einwohnermillion erreichen können (http://www.ipwatchdog.com/2013/04/04/chinas-great-leap-forward-in-patents/id=38625/), sollten 1,37 Milliarden Chinesen das auch schaffen.
 
Eine neue europäische Kompetenzfestung in Europas Norden würde die Verbliebenen in eine Zerreißprobe treiben. Immer weniger Zahler (Berlin und Den Haag vor allem) müssten immer mehr Subventionsempfänger der Südschiene bedienen und damit die eigenen Könner weiter entmutigen. Die verstehen doch, dass durch die EZB-Ankäufe von Staatspapieren zwar Milliarden dorthin gepumpt, damit aber die Qualifikationen nicht um einen Millimeter gesteigert werden. Und die sind es doch, die für das vielbeschworene Wiedererringen globaler Konkurrenzfähigkeit zwischen Athen und Lissabon fehlen. Weil sie also auf alle Zeiten ihre Börsen öffnen müssen, studieren die Talente von neuem die Weltkarte wie eine Speisekarte und bekommen dabei wieder die roten Teppiche ins Visier. Bevor zu viele von ihnen auf ihnen davoneilen, dürften sich weitere Nettozahler von Brüssel trennen. Das würde dem nun unbezahlbaren Hyper-Kollektiv den Gnadenstoß versetzen.
 
Die kommenden Jahre sollten also mehr politische Trennungen bringen. Manche werden sie als Fragmentierung fürchten oder gar als Separatismus geißeln. Da gerade unter den klarsichtigen Nationen nationalchauvinistische Regressionen aber nicht zu befürchten sind, können sie nur an den umsichtigen Aufbau optimaler Kompetenzräume gehen. Denn nur in ihnen können sie den Kampf um ein Verbleiben in der Spitze fortsetzen. Für Europas Bürger, solange sie sich für gute Zeugnisse anstrengen, wird das kein Schrecken, sondern eine Perspektive. Sie können sich ganz nach Temperament entscheiden. Wer Sozialarbeiter sympathischer findet als Firmengründer und sich von frommen Mördern nicht einschüchtern lässt, wird zwischen Berlin und Lampedusa immer passend unterkommen. Wer das zwar gerne im Urlaub geniesst, aber nicht lebenslänglich bezahlen möchte, findet zwischen Vancouver und Helsinki ebenfalls eine Heimstatt. Politiker mögen inaktiv bleiben, aber die Beweglichen gehören ihnen nicht. Es ist gerade ihre globale Wahlfreiheit, die Regierungen zum Handeln nötigt oder in Rückstand bringt.