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Prof. Dr. Dr. Gunnar Heinsohn, Bremen am 29.09.2013:

Lieber Herr Brankamp!
Gegen die Heinsohn/Steiger-Sicht des Zinses als einer Kompensation für das Unfreimachen von Eigentum bei der Besicherung von Geld hat mein alter Freund Paul C. Martin immer eine Machttheorie des Zinses gestellt. Wir sind da nie zueinander gekommmen, was aber den gegenseitigen Respekt nicht gemindert hat. Sie finden seinen letzten Stand hier: P.C. Martin: „Power, the State and the Institution of Property“ in: O. Steiger (Hg.) Property Economics… Marburg: Metropolis, 2008.
Denken Sie auch daran, dass selbst mächtigste Diktatoren wie Lenin oder Hitler es nicht vermochten, den Preis der unter ihrer Ägide emittierten Währungen hoch zu halten, während das etwa in der kleinen und demokratisch-schwachen Schweiz viel besser geklappt hat.
Allerdings ist – intern – die Schweiz dafür in einer entscheidenden Aktivität keineswegs schwach – nämlich beim Verfolgen säumiger Schuldner und beim Vollstrecken in ihr Eigentum, wenn eine Geldschuld nicht getilgt wird. Da wird zumindest gespürt, dass Geldstabilität am Eigentum und nicht an Mächtigen hängt.
Herzlich, Ihr G. Heinsohn
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Sehr geehrter Herr Professor Dr. Dr. Heinsohn,
Professor Malik wird nicht müde, Ihre Theorien zur Entstehung des Geldes und Zinses zu loben. Auch haben ihm Ihre Ansätze offenbar gute Dienste geleistet, denn viele Analysen oder besser noch: Prognosen von Malik haben sich als treffend herausgestellt, so z.B. die kritische Einschätzung der US-Ökonomie (Stichworte: „Shareholder Value“ und „Wealth Creation Theory“). Gleichwohl: Auch eine gut funktionierende Theorie kann natürlich falsch sein, und für die Auseinandersetzung mit einer – im naturwissenschaftlichen Sinne weder falsifizierbaren noch verifizierbaren Theorie – sollte dies sogar die vernünftigste Arbeitshypothese sein.
Ich komme deshalb zurück auf die Darstellung Ihres Konzeptes in M.o.M. Nr. 6/00 S. 98. Und ich will meine Kritik insbesondere an einem Ihrer Kernsätze zum Ursprung des Geldes verdeutlichen: „Er (A) verleiht beim Schaffen von Geld also niemals ein Gut, einen Besitz, den er selber dann nicht mehr nutzen könnte. Er verleiht Ansprüche gegen seinen Eigentumstitel, den er zusätzlich zum Besitztitel hat.“
Dieser Ansatz scheint mir nur schwer haltbar. Dass man eine Kuh nicht gegen vier Enten tauscht, und ergo der Tauschhandel nicht der Ursprung unseres Geldes sein mag, ist sicher keine a priori falsche Hypothese. Aber in der Not tausche ich (B) vielleicht gern ein Schwein, das ich schlachte und verzehre – und zwar gegen ein Versprechen: „Ich besorge Dir demnächst ein neues Schwein.“ Das alte Schwein ist dann aber schon Geschichte bzw. kann von seinem Alt-Eigentümer A ganz sicher nicht mehr genutzt werden.
Diese Handlung bzw. dieses Versprechen bezeichnen Linguisten als Sprechakt (andere Beispiele sind der Eid vor Gericht, das Ja-Wort bei der Eheschließung, der Treueschwur auf die Fahne etc., d.h. ich kann die Handlung nicht anders als durch Sprache bzw. durchs Sprechen vollziehen – im Gegensatz zum Bohren ein Loches etwa). Und die Spur zum Geld scheint mir eher in diese Richtung zu führen.
Da Versprechen geleugnet und gebrochen werden, ist auch die Dokumentation des Versprechens ein naheliegender Schritt und Teil der menschlichen Kultur geworden. Diesem Dokument muss auch keineswegs ein realer Gegenwert gegenüberstehen; das Schwein wird B erst noch besorgen müssen, die Leistung hinter dem Versprechen (z.B. „Ich pflüge Deinen Acker, wenn Du mir Dein Schwein gibst“) erst noch zu erbringen sein.
Dies macht übrigens den Reiz dieses Handels für den Schweine-Eigentümer aus. Das Versprechen ist nämlich mehr als nur ein Schwein; A kann es flexibel und passend zu seiner zukünftigen Lage einfordern: „Im Gegenzug für dieses Schwein nehme ich Dir das Versprechen ab, dass Du mir entweder ein Schwein oder eine Woche Arbeit auf meinem Feld oder Holz liefern wirst.“ Diese Flexibilität (als eigentlicher Nutzen an Stelle des Zinses) wäre auch kompatibel mit Ihrer Darstellung, wonach Zinsleistungen vom Schuldner an den Gläubiger in archaischen Gesellschaften offenbar nicht vorkommen.
Dass mit solchen Dokumenten ein reger Handel entstehen kann, ist gut denkbar. Ebenso aber auch, dass die Ausfallquote rasch zunimmt, weil nicht geleistet oder gefälscht wird. [Daher werden wichtige Sprechakte immer in Gegenwart Dritter vorgenommen und beurkundet (durch Richter, Notare, Standesbeamte usw.)] Naheliegend also die Lösung, dass das Versprechen besser vor dem Anführer einer Gruppe abgegeben werden muss. Ebenso naheliegend, dass dieser Führer selbst es ist, der für das Versprechen gerade steht: „Ich werde mit meiner Macht dafür sorgen, dass Du gegen diesen Schweine-Schein den B auf die Jagd schicken kannst; oder auf Deinen Acker zum Aussäen; oder auf einem Schwein bestehen kannst.“ (Nicht umsonst finden wir auf vielen Geldscheine das Konterfei der „Führer“ F.)
Der Schweine-Schein wird also vom Anführer emittiert, weil nur dieser die gegenseitigen Ansprüche im Zweifel auch durchzusetzen vermag. B kriegt vom Führer F den Schweine-Schein und reicht diesen – nunmehr nur durch Macht besicherten Schein – an A weiter. Dieser kann bei Gelegenheit seine Forderung mit Unterstützung des F fällig stellen, und B muss dann an A ein Schwein liefern oder anderes leisten.
Allerdings lässt sich der kluge und mächtige Führer seinen Aufwand und seine Anstrengungen vergüten, weshalb der B seinem Führer F noch ein Ferkel bringen muss! Auch so könnten also das Geld und der Zins – als Machtgebühr – in die Welt gekommen sein.
Wie bei Ihnen steht B in diesem Modell mächtig unter Druck. Er muss liefern, und zwar mehr, als er selbst zu Anfang bekommen hat. Aber: Der Handel hat ihn aus einer Notlage (Hunger) befreit. Für A ist die Sache auch von Vorteil. Weil er derzeit ohnehin mehr als genug Schweine hat, spart er möglicherweise noch Kosten für die Haltung. Vor allem aber kann er sich einer Leistung des B in der Zukunft sicher sein, die für ihn weit wichtiger sein kann als ein Schwein, von denen er möglicherweise auch in Zukunft noch genug hat. Und der mächtige F hat bald einen ganzen Stall voller Ferkel.
Die nächsten Etappen liegen fast auf der Hand. A liefert auch an die glücklosen Schweinejäger C, D und E seine Schweine gegen Scheine. Der Reiz der Scheine für A liegt darin, dass sie wahlweise und je nach ausgehandeltem Versprechen nicht nur Schweine repräsentieren; sondern auch Feldarbeit, eine Holzlieferung usw. Das macht die Scheine auch für seinen Nachbarn N attraktiv, der dem A gegen ein paar Scheine einen Ochsen überlässt.
Die Scheine garantiert zunächst noch der Führer F, doch weil ihm die Arbeit zu viel wird, setzt er auch noch seinen Unterführer U ein, der freilich an F noch jedes zweite Ferkel zu liefern hat. Bis hierhin kennt das System nur Gewinner.
Der Bruch kommt von oben. Führer F und sein Unterführer U denken sich eine Vereinfachung des Systems aus. Bisher müssen sie bei jeder Gelegenheit den Handel zwischen dem A und dem B , dem X und Y – Ware oder auch Leistung gegen ein Versprechen – mit einem Schweine-Schein langwierig bezeugen, verbriefen und ggf. durchsetzen. Warum nicht im Trockenen daheim ein paar Schweine-Scheine ausstellen, denken sie sich. Diese Scheine händigen wir dann dem B direkt gegen ein weiteres Dokument (Kreditvertrag) aus, der sich dafür nun bei A ein Schwein kaufen kann, ohne diesem gegenüber direkt verpflichtet zu sein. Und so können F und U ihre Ferkelzucht (=Zinsen) rasch ausbauen.
Für das Funktionieren dieses Systems ist der Machterhalt von F die wichtigste Voraussetzung. Sicher dürfte auch sein, dass bei ungezügeltem Ausstellen von Schweine-Scheinen das langfristige Überleben von F und U eher unwahrscheinlich ist. Ebenso sicher scheint, dass mit dem Systembruch – also der Loslösung des zugrunde liegenden Geschäfts – der Untergang als Möglichkeit angelegt ist. Ebenso sicher scheint aber auch, dass ein Systembruch irgendwann fast unvermeidlich ist; niemand hätte den F und den U von dieser naheliegenden Idee abhalten können.
Nun, es bleiben noch zahllose Fragen. Doch es sollte nach diesen Überlegungen zumindest der berechtigte Zweifel erlaubt sein, ob Geld nur in Verbindung mit Eigentum und seiner fortgesetzten (Besitz-)Nutzung geschaffen werden kann. Geld muss hiernach weder ein Stück Land repräsentieren noch z.B. gegen Gold tauschbar/einlösbar sein. Es spricht m.E. viel dafür, dass Geld allein auf einer Vereinbarung basiert, einem Versprechen, einem sprachlichem Akt, dessen Existenz auch sonst praktisch konstituierend für den Menschen ist. Und ebenso schlüssig scheint mir, dass dieses Versprechen allein mit Macht garantiert wird, wobei auch der Missbrauch dieser Macht schon systemimmanent ist.
Allerdings: Hiernach gäbe es keine zwingende Logik, dass die gegenwärtige Schuldenkrise zum Niedergang führen muss; dieser ist eben nicht quasi finanzmathematisch angelegt. Vielmehr sind die wichtigsten Kategorien weiterhin Macht und Versprechen. Beides hängt selbstverständlich eng zusammen. Macht ohne gehaltene Versprechen wird nicht von Dauer sein, so dass das gehaltene Versprechen wohl die notwendige Bedingung für den – für das System so wichtigen – Machterhalt ist.
Was denken Sie?
Mit besten Grüßen
Tom Brankamp