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Antwort auf das Posting von User Stefan B im Malik Blog vom 30.11.2011 zum Thema „Aufkommende Ahnungen…“
[…] 1. Das Geld war keine logische oder historische Folge des Eigentums. Vielmehr war die rechtliche Konstruktion des Eigentums ein Derivat des zuvor verliehenen Geldes – nämlich eine Rechtsfigur, die es ermöglichte das Eigentums vom Besitz zu trennen, damit die 1. Verpfändung der und 2. die Zwangsvollstreckung in die gestellten Sicherheiten (Grund und Boden) möglich wurde. […]
 
Prof. Dr. Dr. Gunnar Heinsohn, Bremen, 01.12.2011:
War Geld „keine logische oder historische Folge des Eigentums“, wie ein Blogger vermutet? Zwar nicht die Logik, aber immerhin die Abfolge (1) Revolution gegen Feudalbesitz, (2) Aufteilung des Feudalbesitzes zu Landstücken der Revolutionäre und (3) Geld kennt immerhin schon der Römer Lukrez (99-55 v.u.Z.): „Nach der Burgenherrschaft kam das Eigentum mit dem Geld [„Gold“], welches die Starken und Schönen der früheren Ehre leicht beraubte“ (*1). Lukrez aber nennt uns nur eine Korrelation zwischen Eigentum und Geld. Eine Erklärung bleibt er für beides schuldig.
Wie finden nun Griechen und Römer zum Eigentum? Wieder können wir Gelehrte der Antike befragen. Wie ein feudaler Graf Mirabeau (1749-1791) auf Seiten der bürgerlichen französischen Revolutionäre von 1789 geht Theseus, der Sohn des Feudalherren Aigeus, „umher und suchte Dorfgemeinden und Sippen zu gewinnen, wobei die schlichten und armen Leute [die Leibeigenen] schnell seinem Aufruf Folge gaben, während er den [widerständigen] Mächtigen einen Staat ohne König vor Augen stellte, eine Demokratie. / In dem Bestreben die Stadt noch mehr zu vergrößern, berief er alle mit der Verheißung der Gleichberechtigung, und der Aufruf ‚Kommt hierher alles Volk‘ soll von Theseus stammen“ (*2). Die antiken Priesterfürsten verlieren ihre Macht als Gutsbesitzer über Leibeigene. Theseus „stellte sie den anderen Bürgern gleich“ (*3). Auch Aristoteles berichtet ja davon, dass den mykenischen Priesterfürsten von einfachem Volk, Leibeigenen mithin, die Macht regelrecht „entrissen“ wird (*4).
In der römischen Überlieferung teilt Romulus – ausgesetzter Neffe des Feudalbesitzers Aemelius – den feudalen Gutsbesitz unter seine leibeigenen Mitstreiter auf. Immer bleiben deshalb die republikanischen Römer der eigentumsbestimmten civitas stolz darauf, von niederem Volk, ja von „Gelichter“ oder „Lumpenpack“ abzustammen – von luperci, also wölfischen und unzivilisierten Elementen (*5). Romulus ersticht seinen Zwilling Remus (auch Romus geschrieben und damit für die große bzw. adlige Fraktion stehend), als dieser unter Spott die revolutionären Grundstücksabgrenzungen überspringt, die es zuvor doch nie gegeben hatte und von dem auch die Revolutionäre noch nicht wissen, dass aus ihren individuellen Flurstücken einmal Eigentum entstehen wird. Remus will lediglich eine typische Leibeigenenrebellion, deren Anführer den Herren im Palast köpft und seinen Platz übernimmt. Die feudale Besitzstruktur bleibt dabei unverändert. Lediglich das Personal wird ausgewechselt.
Bestimmt von der Gerechtigkeit für die Mitrevolutionäre, also für die Lumpen, deren Neid zu fürchten ist, und ohne Rücksicht auf natürliche Gegebenheiten – wie Hügel, Bachläufe u.ä. – teilt Romulus die feudalen Güter in gleich große Stücke auf, weshalb seine Gründung – nach Varro – Roma quadrata genannt wird: „Die zwei Morgen, die Romulus zuerst, wie es heißt, Mann für Mann verteilte, dass sie den Erben zufielen, wurden heredium genannt“ (De re rustica, I: 10, 2). Romulus lockt die Mitstreiter allerdings nicht mit etwas, das er Eigentum nennt. Er selbst und auch niemand sonst würde das verstehen. Das Wort kommt viel später. Er lockt sie mit einem Terminus, der zum frühesten lateinischen Begriff für Eigentum wird: heredium (=Erbe). Das interessiert die Leibeigenen, denn sie können nichts vererben. Nur der Gutsbesitzer darf das. Lockt sie also jemand mit heredium, dann sehen sie sich auf dem Wege zum Status des Beneideten und machen mit.
Mit diesem legendär überlieferten Teilungsakt ist erst einmal also nur die Potenz des Eigentums an Grund und Boden in der Welt, deren Folgen nicht einmal erahnt werden. Denn rein materiell verändert die Aufteilung nichts. Hier vollziehen sich keine Akkumulationen nebst Überschüssen in der Gütersphäre, von der die Ökonomen sich das Verständnis des Wirtschaftens erhoffen. Die neue Struktur wird durch politischen Akt rein physisch aus dem Nichts geschöpft. Was die Revolutionäre dann mühsam als Eigentum erkennen, wird dem physischen – und ewigen – Besitz wie eine Kappe übergestülpt. Es entspringt keiner ökonomischen Zwangsläufigkeit, sondern einem Aufstand von Knechten gegen Herren, wobei Abkömmlinge der Herren – Fürstensöhne wie Theseus und Romulus – auch zu den Anführern der Knechte gehören. Nur an wenigen Orten vermag sich diese ungeheuerliche Erhebung dauerhaft in etwas Neues zu transformieren. Anderen Orts geht der Feudalismus – über Jahrhunderte hinweg – weiter wie zuvor.
Die Revolutionäre wissen also nicht, dass sie sich mit der Aufteilung des Gutsbesitzes solche Merkwürdigkeiten wie Eigentum, Zins und Geld einbrocken. Auch – um das nebenher mit zu erklären – die Einehe, die uno actu mit der Entmachtung der haremsgesegneten Feudalherren unter die Menschen kommt, überrascht unsere Revolutionäre nicht weniger als bis heute die Forschung. An die monogame Sexualmoral, die dafür erforderlich ist, werden sie sich nie gewöhnen. Sie wollen ihre Herren loswerden und haben damit Erfolg. Dass sie den nur durch einen Übergang von der bloßen Produktion hin zum Wirtschaften mit Besicherung, Verpfändung und Vollstreckung verteidigen können, fällt keinem ein. Die Griechen schaffen es nicht einmal zu einem gesonderten Begriff für Eigentum, sondern verwenden den alten Besitzterminus Ktesis für Eigentums- und Besitzseite des Vermögens. Erst die Römer kommen mit proprietas und possessio über das heredium weit heraus und schaffen begriffliche Trennschärfe.
Gelegentlich ist auch die moderne Forschung so weit wie damals Lukrez, sieht also, dass mit dem Eigentum der polis „Kauf und Verkauf, Darlehen und Kredit“ in die Welt kommen – so Karl Polanyis (1886-1964), Meisterschülerin Sally Humphreys (*6). Warum das aber so ist, will sich einfach nicht ergeben. Mehr als Korrelationen zwischen Eigentum hier sowie Kredit, Zins und Geld dort gelingen nicht: „Die Art und Weise, in der Kredite eine so mächtige Maschine wurden, bleibt ein Geheimnis“ (*7) – so der Polanyi-Schüler Chester G. Starr (1914-1999). Wie lässt sich das lüften?
Wie wird Eigentum als etwas vom revolutionär erlangten Stück Landbesitz Abgetrenntes bewusst und damit zur Basis für das Wirtschaften? Schon die erste Ernte schafft einigen – durch Los mit Sonne und Bächlein begünstigten – Revolutionären reichliche Vorräte, während andere umgehend an den Rand der Existenz geraten. Diese Gefährdeten bekommen nun weder blutsverwandtschaftliche Hilfe à la Stammesgemeinschaft, noch Rationen vom Herren à la Feudalismus, der sie in Notzeiten wie sein Vieh versorgt, damit sie weiter für ihn leisten können. Natürlich haben sie selbst die Vorräte für solche Rationen in guten Jahren abgeliefert. Unsere Revolutionäre mit der schlechten Ernte aber haben immer noch ihr eigenes Flurstück. Mit ihm verfallen sie auf die Idee, von den erfolgreichen Revolutionären Kredit zu erbitten. Dabei ist das Leihen an sich nicht neu. Auch in der Stammesgemeinschaft bittet derjenige, dem das Vieh über die Klippe gesprungen ist, andere Stammesgenossen um Tiere. Die nun mögen nicht gerne geben, müssen das aus blutsverwandtschaftlicher Hilfepflicht aber tun. Rückgabe wird erbeten, aber Pfand und Zins niemals gefordert. Im Extrem gehen Stämme deshalb gemeinsam unter. Bis zum Schluss müssen diejenigen geben, die noch etwas haben. Unsere Revolutionäre gehören aber nicht zu einem Stamm. Hilfspflichten gibt es zwischen ihnen nicht.
Auch der mit schlechter Ernte geschlagene Mitrevolutionär kann erst einmal nur naturalen Kredit erbitten. Wir dürfen Geld hier ja nicht einfach voraussetzen. Noch kennen unsere Revolutionäre es nicht. Wir beobachten sie aber gerade dabei, wie sie auf es verfallen. Also es werden vom Bürger mit prächtiger Ernte neun Scheffel Gerste geliehen und 12 Monate später müssen – einschließlich des ebenfalls noch zu erklärenden Zinses von einem Scheffel – zehn Scheffel Gerste zurückgehen. Bei diesem Vorgang liegt kein intertemporaler Naturaltausch à la Neoklassik vor. Der Verleiher als Individuum – ohne existenzielle Absicherung jenseits seines Flurstücks – verliert bei Weggeben der Gerste auf 12 Monate die Sicherheit, die sie abwürfe, wenn sie permanent bei ihm bliebe.
Sicherheit ist unkörperlich, etwas Immaterielles. Und einen Verlust an etwas so Unphysischem wie Sicherheit kennt zwar John Maynard Keynes (1883-1946) mit seiner Liquiditätsprämie des Geldes, nicht aber die neoklassische Schulökonomie. Mit dieser neoklassischen Richtung hat dann aber auch Keynes gemein, dass er das Geld nicht erklären kann. Lediglich, dass es kein neoklassisches Standardgut ist, ahnt er sehr intensiv.
Es ist nun der Verlust an unphysischer Sicherheit, für den der Gerstenverleiher Zins verlangt – den zehnten Scheffel Gerste. Ein Konsum- oder Güterverzicht à la Neoklassik ist nach der üppigen Gerstenernte sein Problem ja nicht. Seine Sorge resultiert aus dem Sicherheitsverlust, also dass ihm im 6. Monat etwas passiert, der Schuldner aber erst nach dem 12. Monat tilgen muss. Dieser Sicherheitsverlust existiert mithin jenseits der Tilgungssorge. Er ist es, der mit Zins ausgeglichen werden muss.
Geirrt hat sich Keynes mit seiner monetären Erklärung des Zinses – Entschädigung des Verlustes der vom Geld ausgehenden Sicherheit, wenn es den heimischen Tresor auf Zeit verlässt, der Verlassene also Liquidität vorübergehend verliert. Auf einen Naturalkredit – im Unterschied zu einem intertemporalen Tausch der Neoklassik – aber hätte Keynes‘ Zinstheorie durchaus gepasst. Keynes hingegen setzt Geld schlicht voraus, muss es mithin unerklärt lassen. Unsere Revolutionäre hingegen können Geld nicht voraussetzen, sondern müssen es erfinden.
Zusätzlich zur Sorge um Sicherheitsverlust trifft unseren freibäuerlichen Verleiher (Gläubiger) die Sorge um Tilgungsausfall. Um sie zu überwinden „entdeckt“ sein Schuldner das Eigentum. Er findet also heraus, dass er sein „letztes Ass“ im Ärmel – sein Flurstück also – auf zwei Weisen gleichzeitig verwenden kann. Er kann sein Landstück bearbeiten, also seine physische Besitzseite durch Einsäen und Abernten nutzen. Gleichzeitig kann er das Landstück verpfänden, um dem Verleiher die Angst vor Tilgungsverlust zu nehmen. Durch diese Verpfändung entdeckt er die Eigentumsseite seines Landvermögens. Im Akt des Verpfändens – im Aufsetzen des Kreditkontrakts – dokumentiert er den Eigentumstitel zusätzlich zum Besitz an ein und demselben Landstück. Er findet also eine rechtliche Form für die unphysische Eigentumsseite seines Landvermögens. Das Pfand kann er nur aus dem ihm revolutionär zugelosten Landstück destillieren, da für nicht getilgte Gerste ja nicht mit Gerste gehaftet werden kann.
Während des Verpfändens durch den Schuldner begreifen beide Kreditpartner das Eigentum. Denn sie erleben ja praktisch, dass der Schuldner sein Flurstück bearbeitet und das ja auch können muss, wenn er jemals zurückzahlen soll, es aber zusätzlich und gleichzeitig auch noch für die geschuldeten zehn Scheffel Gerste als Pfand zur Verfügung gestellt hat. (Nur am Rande sei hier gestreift, dass der Schuldner nicht nur das Eigentum entdeckt, sondern umgehend auch den technischen Fortschritt und die Arbeitsteilung auf den Weg bringt. Denn er muss ja aus seinem schlechten Land auch noch die Zusatzmenge für den Zins herausholen und verwandelt dafür Stiere durch Kastration in Zugtiere, die nun einen besseren Pflug benötigen. Ruckzuck ist er nicht nur Gerstenbauer, sondern auch Tierarzt und Pflugschmied). Der Gläubiger wiederum erfährt, dass seine verliehene Gerste zwar zwölf Monate außer Haus ist, er aber für dieselben zwölf Monate im Hause ein Dokument mit dem Zugriffsrecht auf Landstücke des Schuldners verwahrt, ohne diese physischen Stücke allerdings im Kreditzeitraum selbst zu haben.
Der Übergang vom Naturalkredit (nicht zu verwechseln mit der neoklassischen Güterleihe) zum Geldkredit (für die Neoklassik ja wiederum nur ein Güterkredit in monetärer Einkleidung) nutzt dieses Begreifen der doppelten und gleichzeitigen Verwendung des Landstücks als zu besäender Acker (Besitz) sowie als versprochenes Pfand (Eigentum) für die zu tilgende Gerstenschuld. Schon – sagen wir – im nächsten Jahr nutzt der Gläubiger die Eigentumsentdeckung durch seinen pfanderfindenden Schuldner nun seinerseits für die „Erfindung“ von Geld. Er verleiht dann nicht noch einmal gewogene Gerste aus der physischen Besitzseite seines Landvermögens, sondern Eingriffsrechte in die unphysische Eigentumsseite desselben. Es sind diese Eingriffsrechte ins Verleihereigentum, die als Geld vor uns treten. Gleichzeitig und zusätzlich zur Verleihung nutzt der Gläubiger und jetzige Geldschaffer die physische Besitzseite seines Landes weiter, indem er es ungemindert einsät und aberntet.
Beim Verleihen verliert er physisch also nichts. Er erleidet durch Kreditgeben keinerlei Güterverlust. Das aber behauptet die neoklassische Schulökonomie. Darauf fußt sie ihre Zinserklärung. Der Güterverlust des Verleihers müsse mit Gegengütern ausgeglichen werden, weshalb der Zins ein Güterzins sei. Wird beispielsweise ein Kuh verliehen, verliert der Verleiher die Milch und kann keinen Käse machen, wofür ihn sein Schuldner wiederum physisch entschädigen müsse. Unser Gelderfinder unter den Romulus-Revolutionären aber behält Kuh und Weide. Während er mit dem Eigentumstitel am Weidegrund das von ihm verliehene Geld besichert, melkt er zusätzlich und gleichzeitig seine Kühe, die unbekümmert mit dem Fressen seines Grases fortfahren und nicht im Traum daran denken, in den Stall des Schuldners überzuwechseln. Sein Verlust, für den er Zins verlangt, besteht in etwas Immateriellen. Er muss das für die Geldbesicherung herangezogene Eigentum belasten. Durch dieses Blockieren kann er es nicht verkaufen oder für weitere Besicherungen heranziehen. Es ist dieser Verlust an Dispositionsfreiheit, der nun mit Zins ausgeglichen werden muss.
Schon das früheste römische aes rude – ein Bronzerechteck mit einem eingeprägten Rind – ist mithin kein Gut, sondern eine Kreditmünze, hat also vielfach weniger Wert als das Eigentum an Rinderweiden, mit dem es besichert ist. Es ist ein Geldschein aus Metall. Bald danach wird aus dem klobigen aes rude das kleine ass. Auch dieses wird nur deshalb angenommen, weil es ein Eingriffsrecht in das es besichernde Eigentum an Viehweiden ist. In sich fast wertloses Geld kann Eigentum also deshalb kaufen, weil es seinerseits mit Eigentum besichert ist. Und nun wird ein Schuh daraus, dass Eigentum auch ein „Derivat“ von Geld werden kann. Denn diejenigen, die bisher nur Besitz kennen, wollen auch dieses kauf-fähige Geld in die Hand bekommen. In dem Moment, in dem sie ihren bloßen Besitz verkaufen, wird er in der Hand des Käufers unvermeidlich zu Eigentum. Wird ein Landbesitz verkauft, kommt er beim Käufer mithin als Vermögen mit nunmehr Besitz- und Eigentumsseite an.
 
1 De Rerum Natura, V: 1113-1114.
2 Plutarch, Theseus, Kap. 24.
3 Plutarch, Theseus, Kap. 25.
4 Aristoteles, Politik, III: 1285b.
5 Livius, Römische Geschichte, Buch I, Kapitel 8: 5.
6 Anthropology and the Greeks, London et al.: Routledge & Kegan Paul, 1978, S. 73.
7 C.G. Starr, The Economic and Social Growth of Early Greece: 800-500 B.C., New York: Oxford University Press, 1977, S. 183.

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