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Prof. Dr. Dr. Gunnar Heinsohn, Bremen am 13.01.2013:
Firmen dürfen nicht an den Zentralbanktresen, wo sie gerne wären, wenn ein Zins von nahe Null gefordert wird. Die Geschäftsbanken als Kreditgeber für die Firmen aber bekommen dort Geld, verleihen es aber keineswegs für – sagen wir – ein Prozent weiter. Eben deshalb besorgen sich etliche ihrer Firmenkunden Geld lieber über die Ausgabe von Schuldtiteln (corporate bonds). Die müssen sie zwar genauso tilgen wie einen Bankkredit. Sie müssen auch Zins dafür anbieten, aber weniger als die Banken ihnen abverlangen. Überdies müssen sie die Titel nicht direkt mit Pfand unterlegen. Natürlich wird ihre generelle Verpfändungsfähigkeit bzw. Eigentumspotenz von Ratingagenturen gemessen, so dass sie bei einem schlechten Rating mehr Zins anbieten müssen als die besser bewertete Konkurrenz. Aber sie können doch freier agieren als im direkten Kontakt als Schuldner mit einem Bankgläubiger.
Niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte begaben Firmen so viele Schuldtitel wie 2012. Gegenüber dem bisherigen Rekordjahr 2011 ist der globale Durchschnitt um 13% gestiegen. US-Firmen besorgen sich mit 975 Milliarden Dollar 35% mehr als 2011. Europa legt um 6% zu auf 1,226 Billionen Dollar.  Asien/Pazifik schafft ein Plus von 22% auf 673 Milliarden Dollar. Und niemals zuvor in der Geschichte müssen die Firmen mit 3,632% weniger Zins anbieten als im letzten Quartal 2012 (http://www.ifre.com/corporates-shine-as-bond-volumes-hit-records-in-2012/21059846.article).
All diese Zuwächse liegen erheblich über dem Wirtschaftswachstum von Vergangenheit und Zukunft, passen also nicht zum wirklichen Investitionsbedarf. Die USA schafften nämlich 2012 mit 3,1% nicht einmal das langjährige Durchschnittswachstum von 3,25% aus der Periode 1947 bis 2012. Und selbst das bescheidene 2012er Ergebnis wird vorrangig durch Ausgabensteigerungen bzw. Zusatzverschuldungen des Staates erreicht (http://www.tradingeconomics.com/united-states/gdp-growth). Der Euroraum schrumpfte 2012 sogar um 0,4% (http://ec.europa.eu/europe2020/pdf/ags2013_en.pdf). Für 2013 erwartet der IWF für die USA gerade mal 2,1% und für den Euroraum sogar nur 0,2 % Wachstum (http://www.imf.org/external/pubs/ft/survey/so/2012/res100812a.htm)
Wozu aber machen die Privatfirmen 2012 fast drei Billionen Dollar zusätzliche Bondschulden? Brauchen sie tatsächlich mehr Cash als sonst für das Erfüllen ihrer Verpflichtungen? Keineswegs! Denn schon am 7. Februar 2011 bezichtigt deshalb US-Präsident Obama die heimischen Unternehmen eines regelrechten „Investitionsboykotts“. Denn allein die US-Firmen sitzen damals auf 2 Billionen Dollar kurzfristig flüssigen Mitteln statt sie produktiv einzusetzen. Warum tun sie das und was verstehen der Präsident und die Ökonomieprofessoren in seinem Beraterteam nicht?
Walter BAGEHOT (1826-1877) formuliert in Lombard Street (1873) seine wichtigste Zentralbankregel für das Versorgen von Banken, die momentan illiquide, aber nicht insolvent sind, also noch verpfändbares oder verkaufbares Eigentum haben: „Für die Kredite ist für gute Sicherheiten ein sehr hoher Zinssatz zu verlangen. Das wird die Mehrzahl der Kreditanträge von Bankern verhindern, die sie gar nicht brauchen.“
„Gar nicht brauchen“ besagt, dass andere Banken nicht plötzlich zusätzliche Firmenschuldner gefunden haben, die sie – gegen deren gute Sicherheiten – mit Liquidität versorgen müssen. Wird nun die – meist über Nacht – illiquide Konkurrenzbank zwar gerettet, dafür aber mit einem erhöhten Zins belegt, so werden die anderen Häuser nicht unruhig. Bekäme dieses Haus aber plötzlich Geld für Null, wären alle anderen im Nachteil, die selber 4 oder 5 Prozent zu erbringen hatten und irgendwann wieder zu erbringen haben. Deshalb greifen bei einem Nullzins so gut wie alle Häuser zu, obwohl sie das Geld keineswegs für neue Firmenkunden benötigen. Bagehot will das verhindern, weil dieses Geld praktisch nur in Preissteigerungen investiert werden kann und eben nicht an Unternehmen weiter wandert, die Innovationen oder Effektivitäts- und Produktivitätssteigerungen vornehmen. Kurzum, Bagehot will Spekulationsblasen durch das Nullzins-Geld vermeiden.
Natürlich kommt für jede Firma der Moment, in dem sie investieren muss, weil Modernisierungen bei der Konkurrenz den eigenen Betrieb veralten und im Preis senken, sie selbst die Konkurrenz so vor sich her treiben will oder auch nur Kredite fürs laufende Geschäft zu erneuern sind. Da man den Nullzins für die Geschäftsbanken vor diesen Firmen nicht verheimlichen kann, wollen nun auch sie „billiges“ Geld, obwohl sie es aktuell „nicht brauchen“. Und wenn ein Unternehmen – im Normalfall des stärkste mit bester Bonität – damit beginnt, müssen die Konkurrenten mitziehen. Denn bekommt die Spitzenfirma über Bonds Geld für 3 Prozent oder weniger, während man selbst zum Investitionszeitpunkt bei Banken 5 oder 6% hinlegen muss, kann das schon die Differenz zum Untergang ausmachen.
Allerdings bleiben auch billig geliehene Dollar, Euro oder Yen Schulden der Firmen. Auch sie verführen dazu, sie in Preissteigerungen zu investieren, solange der eigene Betrieb sie nicht braucht. Auch nach 2002, als die FED den Zins auf nominal 1 (real -0,75) Prozent setzt, beteiligen sich die Finanzabteilungen an der Blasenbildung auf fast allen Märkten. Weil 2013 mit dieser Inflation die Deflation gebremst wird, mag sich die FED einmal mehr keine Sorgen machen. Wenn die Deflation aber nicht mehr zu verhindern ist, fallen die Vermögenspreise selbst der stärksten Firmen, während ihre Tilgungs- und Zinspflichten aus den Bonds unverändert hoch bleiben. Hier geht es um eine fatale Folge des Nullzins-Fehlers, der doch „eine befriedigende Wirtschaftsleistung bei den Unternehmen fördern“ sollte (Alan Greenspan, 2002).
Obwohl das schon vor zehn Jahren nicht funktionierte, alarmiert Jeremy Stein, Harvard-Ökonom und Mitglied im Gouverneursrat der FED, am 30. November 2012 die Welt mit der Nachricht, dass all die zentralbanklichen Nullzins-Billionen nicht für die erflehten Firmenerweiterungen eingesetzt werden. Wie schon nach 1932 – was Stein entgangen zu sein scheint – nutzen die Unternehmen das zinsgünstige Geld zur vorzeitigen Ablösung höherzinslicher Schulden und zur Ausschüttung an Anteilseigner, die ansonsten nichts bekommen hätten.
Immer noch versteht man in der FED nicht, was Unternehmen sind. Dabei geht es um Vermögen, die ihre immaterielle Eigentumsseite gegen Preisverfall und Vollstreckung zu schützen haben. Das versuchen sie durch Neuerungen auf der materiellen Besitzseite, also im „Betrieb“, wo Waren modifiziert und Fertigungsprozesse revolutioniert werden. Für die Umsetzung dieser Innovationen müssen sie Geld in Anlagen und Löhne investieren. Für das Leihen dieses Geldes müssen sie Kreditverträge mit Geschäftsbanken eingehen, wofür sie Eigentumspfand brauchen. Haben sie solches noch, müssen sie es erst einmal mit Verlustrisiko für Kredit einsetzen und obendrein Zins zusagen. Unternehmen investieren mithin, wenn sie für eigene oder gegen fremde Innovationen das tun müssen und nicht wenn der Zins niedrig ist. Stehen sie in der Konkurrenz unangefochten, brauchen sie das Nullgeld nicht, ärgern sich aber, weil andere zugreifen, die ihnen als Unternehmen nicht das Wasser reichen, sie aber über preistreibende Spekulation im Gewinn schlagen können. Und wenn sie dagegen durch eigene Anleihen mitziehen, dient das eben nicht dem Wachstum, sondern dem weiteren Aufpumpen von Blasen. Und gerade für diese mortale Option sind Firmen 2013 besser gerüstet als je zuvor.